Gewiss: Häftlinge im Gefängnis sollen darauf vorbereitet werden, nach ihrer Haft wieder resozialisiert zu werden: idealerweise nach ihrer Entlassung in einem Leben anzukommen mit positivem Sozialverhalten und ohne Rückfälle zu Straftaten. Und das trotz der möglichen negativen Beeinflussung durch andere Gefangene während ihrer Haft. Eine anspruchsvolle Aufgabe. Welche Vorteile bietet in dieser speziellen Konstellation der Sport, was kann der Sport in diesem Kontext bewirken? Diesen Fragen widmete sich das Podiumsgespräch „Gefängnis und Sport“, initiiert vom Landesarbeitskreis Kirche und Sport und dem Hospitalhof Stuttgart. Von Klaus Vestewig
Eine katholische Gefängnis-Seelsorgerin von den Franziskanerinnen – eine Mitarbeiterin aus dem offenen Jugendstrafvollzug – ein Justiz-Vollzugsbeamter: Dieses Trio versprach auf dem Podium des Hospitalhofs einen guten Spannungsbogen an Beobachtungen und Einsichten aus unterschiedlichen Blickwinkeln, einfühlsam begleitet von Moderator Salomo Strauß.
„Menschen am Rande der Gesellschaft. Das ist als Franziskanerin ein guter, richtiger Platz“, befand Schwester Vera Perzi. Seit 23 Jahren ist sie in der Vollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim mit den Häftlingen im Gespräch. Ihre Eindrücke sind gemischt. Eigentlich könne man sich im Knast nicht verstecken, man müsse aus sich selbst etwas Anständiges machen, sagt sie: „Als was definiere ich mich, da ist so viel zusammengebrochen, die Persönlichkeitskompetenz zerrüttet.“ Viele Häftlinge hätten aber Masken auf. Schwester Veras Kritik: „Manche sind im Lügen über sich sehr kreativ, einige gehen knapp an der Heiligsprechung vorbei.“
Den Sport sieht sie für viele Häftlinge als ideale Betätigung. Ein Häftling habe ihr nach vielen Trainingsstunden gesagt: „Ich war voll unsportlich. Ich habe mich verändert, ich kenne mich gar nicht wieder.“ Aber es gebe auch andere, so die Seelsorgerin, die vor lauter Muskeln, die sie sich antrainiert haben, durch „Dauer-Imponiergehabe“ auffielen.
„Die mähen dich um“
Andreas Sülzer ist Vollzugsbeamter in Stuttgart. Er ist für die Freizeitgestaltung der Häftlinge zuständig; zusammen mit Sportbeamten hält er auch den Sport ab, und er betreut die ehrenamtlichen Helfer. Kollegen hätten ihn vor Fußballspielen mit den Gefangenen gewarnt: Die mähen Dich um. „Bis auf einmal ist mir aber die ganze Zeit nichts passiert. Und damals habe ich meinen Unmut kundgetan, und die anderen Gefangenen haben sich auch auf meine Seite gestellt“, weiß der erfahrene Justizbeamte.
Natürlich, so Sülzer, sei im Gefängnis die Sportgruppe nicht frei gewählt. „Es ist viel Arbeit, aber es funktioniert auf dieser Ebene hervorragend. Die Maske fällt schnell runter“, versichert er. Abseits vom Sport sei Sülzer eben der Beamte, resümiert Moderator Strauß: „Distanz und Nähe – Sport ist das Instrument, um an die Leute ranzukommen.“
Dass Sport und Bewegung auch in anderer Hinsicht positive Effekte habe, das beschrieb Sülzer so: „Ein Häftling hat mir erzählt: Ich habe so viel Scheiße an den Hacken. Wenn ich mich eine Stunde beim Tischtennis auf den Ball konzentrieren muss, vergesse ich alles.“ Allerdings darf der Vollzugsbeamte nicht alle, die es wollen, in seine Sportgruppen zulassen. Bei U-Häftlingen könnte der Richter anordnen, dass sie sich nicht mit Mittätern absprechen können, da seien Sicherungsmaßnahmen zu treffen.
Keine Mauern, keine Gitter
Einen besonderen Ansatz verfolgt Eva-Maria Schmutz mit ihren Kolleginnen und Kollegen in Leonberg. Das dortige „Seehaus“ bietet schon seit 2003 einen Jugendstrafvollzug in freien Formen. Jeweils fünf bis sieben Jugendliche wohnen in drei Wohngemeinschaften mit Hauseltern und deren Kindern zusammen und gehen tagsüber auch zur Schule oder zur Ausbildung. „Bei uns gibt es keine Mauern, keine Gitter und keine Beamten“, berichtet Eva-Maria Schmutz. Im Seehaus beginnt man schon morgens um 5.45 Uhr mit Frühsport: 3 bis 4 km Joggen.
Sie leitet das Sportprogramm „Move your prison“, das speziell für Gefangene konzipiert wurde und mit Ehrenamtlichen absolviert wird. Es beinhaltet ein achtwöchiges intensives Sportprogramm mit Zirkeln und Fitnessgeräten. Viel Teamsport gehört dazu mit verschiedenen Mannschaftssportarten. Gleichzeitig spielt die Wertevermittlung dabei eine große Rolle.
„Klare Regeln wie im Sport, Respekt, Disziplin, Ausdauer, Mut, Teamgeist und Durchhaltevermögen sind sehr wichtig – im Knast, aber auch in der Zukunft der Jugendlichen“, betont Eva-Maria Schmutz. Chance für eine umfassende Lebensveränderung. „Auch ein Nelson Mandela hat erst hohe Hürden überwinden müssen, um schließlich erfolgreich zu sein“, macht die engagierte Frau deutlich.
Ehrenamtliche spielen beim Umgang mit Gefangenen eine bedeutsame Rolle, darin war sich das Podium einig. „Ehrenamtliche sind wichtige Menschen für Häftlinge“, betont Schwester Vera. Und Eva-Maria Schmutz ergänzt: „Die vermitteln etwas von der Außenwelt. Und sie sind eine Brücke in die Gesellschaft, in die die Häftlinge später wieder zurückkehren wollen.“ Das sieht auch Sülzer so.
Allerdings, das gab Schwester Vera ohne Umschweife zu bedenken, kreisten die Gespräche von vielen Häftlingen über ihre Zukunftsperspektiven leider um andere Dinge: „Viele haben im Fokus: Wie komme ich hier möglichst schnell raus? Wie mache ich es das nächste Mal besser, dass sie mich nicht kriegen? Und wie komme ich schnell an Drogen?“ Viele der Gefangenen sprächen überdies nur rudimentäres Deutsch, was den Zugang zu ihnen erschwert.
Resozialisierung: Umkehr im Denken
Resozialisierung sollte anders aussehen, das wurde am Schluss der Diskussionsrunde deutlich. Zunächst einmal: Dass der Sport in der Haftanstalt die Gefangenen nach ihrer Entlassung für ein ganz normales Leben ohne kriminelle Rückfälle stabilisiert, das ist zwar wahrscheinlich, belastbare wissenschaftliche Untersuchungen dazu gibt es aber offenbar nicht.
„Resozialisierung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, sagte Eva-Maria Schmutz. Da müsse eine Umkehr im Denken stattfinden, oft herrsche ein Schubladendenken vor. Nach der Haft kommen auf die Menschen eben vielfältige strukturelle Probleme zu: Sie haben große Probleme, einen Job oder eine Ausbildung zu finden, eine Wohnung zu ergattern oder ein Bankkonto zu eröffnen. Vielleicht auch in einen Sportverein einzutreten, wenn ihre Vergangenheit im Gefängnis bekannt wird. „Wir müssen auf die Leute zugehen, sonst können sie nicht in die Gesellschaft zurück“, so die Mahnung der Projektleiterin vom „Seehaus“.
Könnte an diesem Schnittpunkt auch die Kirche ins Spiel kommen? Es gehe dabei viel um Kooperationen. Da könne die Kirche durchaus reinrutschen, es könnten auch Kontakte zu anderen „Menschen mit Herz“ oder auch Sportvereinen geknüpft werden, meint Eva-Maria Schmutz. Im Fokus bei der Kontaktaufnahme: Wo und wann werden die Häftlinge entlassen? Der Appell von Eva-Maria Schmutz: „Die Leute brauchen einen Vertrauensvorschuss, auch mit der Möglichkeit, mal enttäuscht zu werden.“